Die Wahlen 2026 – prägend für Jahrzehnte

Was hat Geologie und Topografie mit den Wahlen in der Stadt Zürich vom nächsten März zu tun? Ein Stadtkörper ist immer ein Eingriff in die Topografie, die durch Geologie geformt ist. Es gibt Städte, die die Topographie interpretieren, überhöhen, beeinträchtigen, überwuchern oder sogar zumüllen. Zürich hat nach einem Vierteljahrhundert von viel zu gross angelegten Hochhauszonen mit seinem Stoppelfeld keine prächtige Bilanz vorzuweisen.

Athen hat mit seiner «Polykatoikia», einem unspektakulären, aber sehr brauchbaren Haustyp, seine Hügel überzogen. Akropolis und Lykabettus (der Üetliberg von Athen) dominieren nach wie vor und die Identität ist trotz dem Häusermeer erhalten. Von Rom auf seinen sieben Hügeln müssen wir nicht sprechen – von der jahrhundertelangen Arbeit kann man nur beeindruckt sein. Von Paris darf man sagen, dass es sich selbst formt: Haussmann, sein Höhenplafonds und die wichtigen Ausnahmen von öffentlichem Interesse, die überragen dürfen. Zürich hat Ende des 19. Jahrhunderts die Topografie mit seinen Quaianlagen grossartig interpretiert und den See in die Stadt einbezogen.

Zum Weiterlesen verweist «zuerivitruv» auf den Artikel «Das Juwel Zürich wieder zum Glänzen bringen» vom 3. Dezember 2025 im Newsletter «Inside Paradeplatz» im Internet. 

Der Artikel beleuchtet den Zusammenhang mit den Wahlen und sieht die Möglichkeit, auf die Zukunft unserer Stadt Einfluss zu nehmen: Z.B. «Im Wachstum schöner und lebenswerter werden».

Städtebau ist eine europäische Tradition

Mit dem Hochhaus stimmen für Europa zwei Faktoren nicht: Das eine ist die hochgestapelte Massenunterbringung mit dem Liftschacht als einzige Nabelschnur zur Stadt. Das Soziale bricht wegen der Masse zusammen und der Bezug zum Quartier ist nicht existent – mit Folgen, vor allem für Familien/Kinder. Das andere ist die Disruption im schön gewachsenen Stadtbild.

Zu den Bildern: Oben der Ausschnitt Garbatella/Rom und ein anonymer Wohnsilo. Unten: Wohnsilos Tramdepot Hard und Projekt Dennlerstrasse.

Die oberen Bilder veranschaulichen «Gestapeltheit» versus «Leben mit Umgebung». In Garbatella bilden mehrere Wohnbauten eine gemeinsamen Platzraum – nicht zu vergleichen mit dem Stapel in Einsamkeit. Hier stellt sich die Frage, warum das kultivierte Europa sich überhaupt auf defizitäre Wohnformen einlassen soll. Die Frage richtet sich sowohl an unseren Stadtrat als auch an die Kommission Hochbau, die gerade die Revision der Hochhausrichtlinien (mit Ausweitung der Hochhausgebiete!) berät.

Meint man, Garbatella sei zu wenig dicht, kommt in der unteren Bildzeile das ziemlich geniale Projekt Dennlerstrasse in die Diskussion. Energie/CO2 spielen eine Rolle und gleichzeitig die Verdichtung: Die Hälfte der Häuser wird erhalten und aufgestockt und der andere Teil neu erstellt. Die bauliche Dichte kann damit verdoppelt werden. Das Zusammenspiel von Alt und Neu schenkt Charakter. Ein weiteres Geschenk ist die Bildung von zwei Höfen und einem zentralen baumbestandenen Platz. Dennlerstrasse ist ein Zukunftsmodell für Dichte und hohe Qualität. Architekten: Esch Sintzel Architkten.

Noch nicht in der Vergleichsbilanz erwähnt ist die Zerstörung des (europäischen) Stadtbildes durch den in Zürich immer noch angetriebenen Hochhauswildwuchs.

Macht es glücklich?

Ein Stadtrelief ist eine Raumstruktur, die uns Licht, Luft, Behausung, Zirkulationsraum und Freiflächen fürs Leben beschert. Sie kann uns mehr oder weniger glücklich machen. Da führen verschiedene Raumkonzepte «nach Rom». Eine Zivilisation kann ihre Raumstruktur konzipieren und muss dazu die Kräfte formulieren und bündeln. Regeln genügen nicht ganz – es braucht noch die schöpferische Dimension. Dafür gab und gibt es Stadtbaumeister. Theodor Fischer war um 1900 in München so einer. Seine Ideen und Regelwerke haben eine über Jahrzehnte gute Stadtstruktur hervorgebracht. Teil davon ist die offene Blockrandbebauung, die Innenhöfe nicht von den umgebenden Strassen abschliesst.

Wenn wir in Zürich nach einer schwachen Epoche auf Ebene Stadtbaumeister nach einem Fischer fischen oder auf Ebene Stadtrat/Stadtpräsident nach einem Emil Klöti (1906-42, siehe 2 Postings zurück), dann sind wir auf dem Pfad der viertletzten Zeile des letzten Postings, nämlich, dass Zürich mit den Wahlen zu einer zeitgemässen Stadtplanung kommt und sich wieder auf eine Raumstruktur hinbewegt, «die glücklich macht».

Bilder: Zuerst reine «Bauerei» bei der gegenwärtigen Verdichtung der ehemaligen Gartenstadt Schwamendingen. Eliel Saarinen entwarf schöne Stadterweiterungen für Helsinki, Bruno Krucker verbessert den Überbauungsplan von Freiham/München mit der Bildung von Aussenräumen. Dann ein Strassenblock der römischen Vorstadt Garbatella, der innere Plätze statt Hinterhöfen macht. Solche Beispiele bringen uns einem Städtebau näher, der Aussenräume mit Geborgenheit schafft.

Wohin marodiert dieses Posting?: Es ringt sichtlich um einen künftig besseren Weg. Und das ist eine engagierte neu zusammengesetzte Crew aus Personen, die Zürich wieder auf einen guten Pfad bringen.

Kann Weiterentwicklung einer Stadt ohne Planung gelingen?

Wie wir im letzten Posting gesehen haben, braucht es für eine schöne und angenehme Stadt mehr als das Zulassen oder sogar Fördern eines wilden Pflanzens von Türmen. Nur kompetente und engagierte Persönlichkeiten im Stadtrat und auch im Parlament können erkennen, was eine Epoche erfordert. Wird die Leistung einer europäischen Stadt erkannt, spricht sich das herum: In Paris wird Aufenthalt und Quartier wichtiger, was automatisch zu Abnahme von Verkehr führt. Barcelona gewinnt in seinem fast unendlichen Muster von quadratischen Strassengevierten durch Umorganisation viel Lebensraum auf seinen Kreuzungen. München und Dresden schauen mit Gestaltungskonzepten in die Zukunft. 

Ein Zürcher Architekturbüro erhält in Deutschland Aufträge und gewinnt Wettbewerbe für Quartiere und Stadtteile. In Zürich gibt es diese Verwebung von Voraussicht und Stadtentwicklung noch nicht. Nach mindestens 25 Jahren ohne Stadtplanung hat sich kein genügender Zivilisierungsgrad erreichen lassen. Das Wachstum wird schal und es ereignen sich Fehlleistungen wie nur schon an der Limmat mehrfach geschehen. Das ist der Schatten der Tramdepot-Hochhäuser auf den Wipkingerpark und das Scheitern der Uferschutzinitiative für den Limmatraum. Der Stadtplaner Jürg Sulzer schrieb im Titel seines Beitrags in der NZZ am Sonntag vom 18. Mai: «Auch Zürich hat ein Anrecht auf guten Städtebau». Erfolgreiche Stadtentwicklung muss organisiert sein, sie ereignet sich nicht von selbst. Die Wahlen lassen hoffen, dass der Blindflug einer klaren Vorstellung von Stadtentwicklung weicht.

Städtebau und die Wahlen

Europa hat immer gewusst, wertvolle Stadtteile hervorzubringen. Das Fachwissen aus verschiedenen Epochen ist nicht verloren. Ein kleines Namedropping bekannter Quartiere: Kensington, Garbatella, Parioli, Schwabing, St. Germain, Hottingen. Es fragt sich, ob Zürich noch dabei ist. Wohl nicht, wenn wir Hochhaus-Popping – und das ohne Beachtung von städtebaulicher Begründung – betreiben. Wir haben Städtebau und Stadtgestaltung verlernt – wir können es nicht mehr. Städtebau ist mehr als nur Bauordnung, Zonenpläne und Anstiftung zum Hochhausbau. 

In der Biographie von Stadtrat Klöti (1906-42 im Amt) heisst es: «Er war entschlossen, bei der baulichen Entwicklung der Stadt die Initiative und Führung zu übernehmen und für die Zukunft zu planen». Er war sich der durch die Natur gegebenen Form im offenen Gletschertal bewusst. Der Horizont, in dem er sich betätigte, war weit und seine Ernennungen erfolgreich: Den Stadtbaumeister Hermann Herter rekrutierte er aus dem Wettbewerb für Gross-Zürich und Konrad Hippenmeyer machte er zum Chef des Bebauungsplanbüros. Ein Parallelfall war Theodor Fischer in München, der Quartiere mit offenen Blockrandbebauungen entstehen liess. «Offen», weil er eine Verbindung zum Strassenraum wollte.

Heute könnte es das Ziel sein, schönes und lebenswertes Stadtgewebe zu fördern, das sich aus gut gemachten Bauten zusammensetzt. Und es könnte die ziellose und chaotische Verhochhäuselung ablösen und u.a. den Wohnungsbau auf eine bezahlbare Basis stellen, die auch in energetischer Hinsicht gut abschneidet. Es ist wohl auch klar, dass diese Zeilen im Hinblick auf die Wahlen in den Stadt- und Gemeinderat im März 2026 geschrieben wurden. Die Revision der Hochhausrichtlinien befindet sich in Beratung. Die Kommission des Gemeinderats und später der Gemeinderat selbst haben es in der Hand, das 

Türmepflanzen einzuschränken oder ihm gar ein Ende zu setzen.

Die Verhochhäuselung

Ist unsere Agglo am kippen? – in Richtung Wuhan, geschützt durch die allgemeine, aber längst hinterwäldlerisch gewordene Ansicht, das Hochhaus sei fortschrittlich? Tatsache ist, dass wir alle die Banlieues von Paris, Berlin und Glasgow nie besucht und keine Ahnung von deren Wohnbedingungen haben. Wir statteten dem Centre Pompidou, dem Trevibrunnen und dem Markusplatz unseren Besuch ab. Die fehlende kollektive Real-Erfahrung von Banlieue-Spaziergängen darf man uns nicht anlasten, denn unsere Zivilisation ist so geregelt, dass Spezialisten der Stadtverwaltung aus eingehender Kenntnis die Verantwortung übernehmen: «It takes many kinds of people to make a world». Unter dem Druck der Grossimmos mit ihren Hochhauswünschen und ihrem oft viel zu grossen Massstab werden die Städte aus dem Verzicht auf Stadtgestaltung zu Erfüllungsgehilfen. Das Resultat sind Wuhanisierungstendenzen in europäischen Städten. Ist Wuhanisierung heute notwendig um dabei zu sein? In Europa zumindest ist die gewachsene Stadtbausubstanz zu wertvoll um sie wegen Investitionsspässen, wie dem Verkauf von Aussicht, wegzuwerfen, wenn man – wie Paris zeigt – im urbanen Flachbau mit 4-6, ausnahmsweise 8 Etagen die selbe Dichte «lebenswert» erreichen kann.

Grossimmos sind inzwischen eine Tatsache geworden und wir haben mit ihnen einen Löwen in den Stall bekommen. Noch fehlt der Dompteur auf Stadtseite, der dieser neuen Kraft Paroli bieten und eine vorteilhafte Richtung geben kann. Aus diesem Manko speist sich – solange es noch besteht – der Wildwuchs. Es kann also gesagt werden, dass mangelnder Einsatz für die Interessen der Stadt und die Lebensqualität der Bevölkerung in den Bauämtern das Unglück der beliebigen Verhochhäuselung in der Stadt und jetzt auch in der Agglomeration erst ermöglicht.

Banlieue

Was wir tief aus dem letzten Jahrhundert aus Ostberlin, Paris und Glasgow kennen, breitet sich jetzt um die Stadt Zürich herum aus. Der Tages-Anzeiger berichtete am 7. November darüber: Wohnsilos zwischen 54 und 85 Metern Höhe (geteilt durch 3m ergibt die Zahl der Etagen). «Ring Tower», «Rocket» und «Sky-Turm» heissen die wohlklingenden Namen. In Paris u.a. «Honoré de Balzac».  

Die Stadt Zürich leidet schon unter dem Wildwuchs und dem Zerfall des Stadtbilds, weil die Hochhauszonen vor einem Vierteljahrhundert viel zu gross ausgelegt worden sind. Jetzt startet die Agglomeration. Es ist das Zeichen von schwachen Gemeinden, die dem Druck der Grossimmos, die ihr Geschäft mit der Aussicht machen wollen, nicht widerstehen können. Teilweise ist man mental auch in der Mitte des letzten Jahrhunderts stecken geblieben, als Hochhaus & Manhattan noch als «modern» gegolten haben. Offenbar kann man das zeitgemässe Denken an Klima/Energie/CO2 und die Soziologie des Wohnens in diesen Bauämtern immer noch nicht erwarten. Dazu kommt – wie in Zürich – das Fehlen einer guten Stadtplanung. Das wird dann zum Einfallstor für die Eigeninteressen der Investoren. Der Hochhaus-Wildwuchs wird den künftigen Generationen noch Probleme bescheren.

Das massenhafte Hochstapeln vom Menschen für Wohnzwecke wird nicht folgenlos bleiben und auch nicht der Verzicht auf die Planung von angenehmen lebenswerten Wohnquartieren. «Pfähle setzen» macht kein Quartier, das Gemeinschaft ermöglicht, oder sogar fördert. Das kann nur ein Stadtgewebe im verdichteten urbanen Flachbau mit 4-6, ausnahmsweise 8 Etagen. Es braucht die kluge Hand, die die Aussenräume formt, um dann von Bauherren durch individuelle Gebäude bebaut zu werden. Das ist ein Zusammenwirken, das im europäischen Raum schon immer die vielen wertvollen Stadtteile hervorgebracht hat.

Jahrhundertvergleich

Wir kommen aus den nationalen Aufgaben des Bundeshauses und der ETH mit einem epochalen Fernglas heraus. Schwenken wir es doch in unsere Zeit herüber weil grosse Bauten auch in unserer Epoche entstehen. Unsere «Grands Travaux» sind Wohnbauten. Schauen wir uns einmal «Hard & Hohl» – die Prominentesten – bei Beschränkung auf die gröbsten Merkmale an.

Wie in diesen Zeilen auch schon gesagt, positionieren sich die beiden Türme der Bebauung «Depot Hard» und ihr langer Gebäudesockel auf dem Südufer der Limmat, wo sie dem Fluss und dem gegenüberliegenden Wipkingerpark mit ihrer gigantischen Kulisse das Licht stehlen. «Grands Travaux» können mächtig Schaden anrichten, oder wie die ETH, die von der Geländekante aus besonnt über die Stadt schaut, der Stadt eine Krone aufsetzen. Eine «Hand» hat beide gebaut. Weil Bauten ewig sind, kann es immer sein, dass die Recherche einst auf die Autoren trifft.

Die Stadt hat sich auf der Südseite des Gleisfelds an der Hohlstrasse ebenfalls für hoch aufragende Grossbauten entschieden. Eine stetig wachsende Betonkulisse, die sich – einer Raupe gleich – am bis zu 300 Meter breiten Gleisfeld in Richtung Hauptbahnhof weiterfrisst. Hat man je überlegt, was da im Stadtmassstab geschieht? Hitzestau am Gleisfeld, Stapelung von Menschen am Bahnlärm? 

Zum Schluss dieser Vergleichsbetrachtung die Frage: Haben wir im jungen Jahrhundert Werte geschaffen? Haben wir der Stadt etwas gegeben? Und haben wir sie im grossen Bauen (wie z.B. um 1900) gleichzeitig aufgewertet? Darf es im Jahrhundert so weitergehen, oder müssen wir in den Wahlen Besserung einfordern?